Meine Kriegsdienstverweigerung

Ich kann nicht sagen was die Zukunft bringt, aber für den Fall der Fälle möchte ich meine alte Kriegsdienstverweigerung hier gerne für interessierte Personen bereitstellen. Geschrieben ca. Januar 1999

Die Entscheidung, den Kriegsdienst zu Verweigern, ist eine Gewissensentscheidung, für die rationale und gefühlsmäßige Gründe ausschlaggebend sind. Ich möchte an dieser Stelle die wesentlichen Motive darlegen, die zu der Entscheidung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern geführt haben.

Meine erste Bekanntschaft mit dem Thema „Krieg“ machte ich schon sehr früh in meiner Kindheit durch meine Großeltern. Sie wurden mit ihrer Familie aus ihrem angestammten Heimatort Klein Pruschillen in Ostpreußen vertrieben, was meine Großmutter bis jetzt noch nicht verwunden hat. Durch die Erzählungen meiner Großeltern konnte ich schon sehr früh eine sehr negativ besetzte Vorstellung vom Krieg gewinnen. Außerdem musste ich bei meinen Gesprächen immer wieder feststellen, daß sie jetzt, wo das alles schon 50 Jahre zurückliegt, die Schrecken des Krieges immer noch nicht endgültig verarbeitet haben, was sich darin zeigt, daß sie von diesen Erlebnissen nur unter Tränen erzählen können. Noch heute machen sie sich Vorwürfe, Hitlers eigentlichen Pläne nicht rechtzeitig durchschaut zu haben.

Es ist wohl immer so, daß die nachfolgenden Generationen die Leistungen ihrer Eltern und Großeltern sehr kritisch bewerten. So machen wir unseren Vorfahren den Vorwurf, zwei so sinnlose Weltkriege, die nur Leid, Not und Elend nach sich zogen, überhaupt angezettelt zu haben. Ich denke, daß unsere Kinder sich ebenfalls sehr kritisch mit unseren Leistungen auseinandersetzen werden und uns fragen werden, warum wir in der einen oder anderen Situation so gehandelt haben. Ich möchte meinen Kindern und Enkeln sagen können, daß ich, wenn ich einen Krieg schon nicht selbst verhindern konnte, diesen wenigstens weder aktiv noch passiv unterstützt habe.

Seit meiner frühesten Kindheit genoss ich durch meine Eltern eine Erziehung, die auf den Grundwerten eines christlichen Miteinanders basierte. Im Kindergarten war ich mit mehreren Kindern in einer Gruppe zusammen, wo es natürlich auch zu Konflikten und Spannungen kommt. Schon dort wurde uns beigebracht, alle Konflikte friedlich zu lösen und wir bekamen auch gezeigt, wie man dies in die Praxis umsetzen kann. Schon sehr früh bekamen wir von unseren Betreuern Geschichten aus der Bibel erzählt, was sich auch im Religionsunterricht in der Schule fortsetzte. Ich kann mich noch besonders gut an die Stunden erinnern, in denen wir die 10 Gebote und anschließend die Bergpredigt mit dem Verweis auf die 10 Gebote besprachen, wo es im fünften Gebot heißt „Du sollst nicht töten“ (2 Moses 20,13; 5 Moses 5,17). In der Bergpredigt heißt es unter anderem „Selig die Friedfertigen, denn sie werden die Söhne Gottes genannt werden“ (Matthäus 5,9). Aus diesen beiden Zitaten der Bibel leite ich den Auftrag Gottes/Jesus an die Menschen ab, friedfertig, daß heißt ohne Kriege und gewalttätige Konfliktlösungen miteinander zu leben. Mit dieser Problematik beschäftigten wir uns auch einige Jahre später noch einmal im Kommunion- bzw. Firmunterricht.

Einige Jahre später lasen wir, ebenfalls im Religionsunterricht, die Kurzgeschichte „Ein Kind töten“ von Stig Dagermann. In dieser Geschichte geht es darum, daß ein Kind von einem Auto angefahren wird und dabei stirbt. Der Fahrer braucht noch Jahre, um das alles zu verarbeiten. Als ich diese Geschichte später noch einmal las, nahm ich sie zum Anlass, über die Bedeutung des menschlichen Lebens und über das Töten eines Menschen nachzudenken. Dabei wurde mir bewusst, wie schwer der Tod eines Angehörigen die Familie treffen kann, und diese Erfahrung machte ich selbst vor einigen Jahren beim Tod meines Großvaters. Deshalb bin ich davon überzeugt, daß ich selbst nicht in der Lage wäre, einen Menschen bewusst, das heißt mit Absicht, zu töten. Diese Einstellung begründet sich in meinem Glauben, daß Gott allein uns das Leben schenkt und es ihm allein zusteht, uns das Leben wieder zu nehmen. Das heißt für mich aber auch, daß ich mir nicht anmaßen kann, über das Leben bzw. Sterben anderer Menschen zu entscheiden, was ich als Soldat sicher müsste. Das Bewusstsein, aktiv (Schütze) oder passiv (Funker) zum Tod eines Menschen beigetragen zu haben, würde meinen Seelenfrieden empfindlich stören. In der Schule sahen wir im Geschichtsunterricht die Filme „Im Westen nichts Neues“ und „Die Brücke“. Am Anfang des ersten Filmes war ich mit meiner negativen Einstellung zum Thema Krieg ein Außenseiter. Der Großteil meiner Klasse war noch sehr begeistert vom Krieg, größtenteils wohl auch, weil deren Eltern und Großeltern den 2. Weltkrieg folgenlos überstanden hatten. Spätestens am Ende des Films, als die Eintragung im Kriegstagebuch eines Tages, an dem es mehrere hundert Tote und Verletzte gegeben hatte, „Im Westen nichts Neues“ lautete, waren alle meine Mitschüler ebenfalls sehr betroffen, da sie endlich kapiert hatten, daß das Leben eines Menschen im Krieg überhaupt nichts zählt. Der Film „Die Brücke“ ist insofern schockierend, daß man sich sehr leicht mit den Jugendlichen, die voller Enthusiasmus eine strategisch völlig unbedeutende Brücke verteidigen und dabei nicht erkennen, daß sie nur als Kanonenfutter missbraucht werden, identifiziert. Dieses Beispiel verdeutlicht noch einmal, daß das Leben eines Menschen im Krieg nichts zählt.

Im der Biologie AG beschäftigten wir uns mit den Umweltzerstörungen, die von Waffen verursacht werden. Dabei stellten wir fest, daß für die Produktion von Waffen große Mengen Rohstoffe und Energie benötigt werden. Natürlich müssen alle neuen Waffensysteme auch erst einmal getestet werden, was, ebenso wie die Anwendung, große mechanische Zerstörungen bewirkt und gleichzeitig große Mengen von Schadstoffen freisetzt. Nach einigen Jahren müssen die Waffen wieder vernichtet werden. Viele Bestandteile können wegen ihrer Giftigkeit nicht wiederverwertet werden und landen auf Sondermüllkippen, von wo aus sich ihre Schadstoffe freisetzen. Ich komme also zu dem Schluss, daß die Waffenentwicklung und –anwendung aus ökologischer Sicht nicht tragbar ist.

Auch aus Ökonomischer Sicht sehe ich die gesamte Waffenentwicklung und –produktion sehr kritisch: Die Entwicklung neuer Waffensysteme verschlingt sehr große Geldmengen, die der Staat in Form von Subventionen zur Verfügung stellt. Mit den für Militärausgaben jedes Jahr verwendeten Mitteln könnte man die gesamte Entwicklungshilfe für mehrere Jahre bezahlen oder die Staatsverschuldung abbauen. Also ist eine große Armee, die gewisse Waffenarsenale benötigt, auch ökonomisch nicht tragbar. Mein Gewissen rebelliert bei der Vorstellung, daß viele Menschen verhungern müssen, nur weil wir uns unbedingt, teils wohl auch aus Prestigegründen, eine Armee leisten müssen.

Aufgrund der oben aufgeführten Gründe habe ich mich entschlossen, den Kriegsdienst mit der Waffe nach Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes aus Gewissensgründen zu verweigern. Ich möchte meine Zivildienstzeit in den Dienst hilfsbedürftiger Menschen stellen und damit auch meinen Beitrag zur Linderung des Pflegenotstandes leisten. Ich bin davon überzeugt, nur auf diesem Wege einen Beitrag zum Frieden auf der Erde leisten zu können.

Ich bitte sie höflichst, meinen Antrag anzunehmen und mich vom Kriegsdienst mit der Waffe zu befreien.